Die Akustik des Griffbretts – Klangeinstellung einer Geige
Sowohl der Neubau als auch die Klangeinstellung einer Geige können nur dann herausragende Ergebnisse liefern, wenn alle schwingungsfähigen Subsysteme, also auch Saitenhalter und Griffbrett des Instrumentes, akustisch optimal auf die individuellen Resonanzen des Instrumentes abgestimmt werden. In derartigen Abstimmungen liegt eine der wesentlichen Kompetenzen eines guten Geigenbauers. Bislang liegen hierzu nur wenige systematische Arbeiten vor. Nachfolgend soll daher ein kleiner Einblick in entsprechende Forschungsergebnisse des Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske gewährt werden.
Akustikanalyse eines Griffbretts
Eine akustische Analyse der Resonanzprofile zweier Geigen von Antonio Stradivari in unserem Atelier zeigte eine interessante Besonderheit dieser Meisterwerke: Die Hauptkorpusresonanz (sog. B1-Mode) war bei jedem Instrument doppelt vorhanden. Im Resonanzprofil dieser Geigen wurde eine (zunächst überaus ungewöhnliche) Aufspaltung erkennbar. Wir führten daher eingehende Modalanalysen dieser beiden Instrumente durch. Die Schwingungsformen zeigten, dass tatsächlich die typische Eigenform der B1-Mode bei 513 Hz und knapp darüber bei 524 Hz nochmals auftauchte. Bei genauerem Hinsehen wurde erkennbar, dass der einzige System-Unterschied beider Moden in der Phasenlage des tordierenden freien Griffbrettendes bestand. Wir haben es hier offensichtlich mit einer Resonanzkopplung des Systems Korpus und des Subsystems Griffbrett zu tun.
Tatsächlich zeigt eine Modalanalyse des auf die Geige aufgeleimten Griffbretts (in diesem Fall an einem anderen Instrument) eine Reihe von - vom Instrumentencorpus weitgehend unabhängigen - Subsystemmoden.
Die nachfolgende Abb. 1 stellt diese Griffbrettmoden dar. Der Frequenzgang ist durch den Kurvenverlauf der Eingangsadmittanz (am driving point A) erkennbar. Durch Modalanalyse werden die Eigenformen erkennbar. Sie sind unter dem Frequenzgang durch Höhenschichtlinien visualisiert. Das Subsystem Griffbrett weist also im Frequenzbereich bis 2500 Hz 8 Moden auf. Dabei ist die Mode #2 eine Biegeeigenschwingung des freien Griffbrettendes (=“B0“); Mode #3 und #4 Torsionsmoden des freien Griffbrettendes, Moden #6 und #7 sehr viel höherfrequente Biegeschwingungen mit Knotenlinie bereits innerhalb des freien Endes und schließlich #8 eine Torsionsmode mit Knotenlinienkreuz innerhalb des freien Griffbrettbereiches.
Abb.1: Frequenzgang der Eingangsadmittanz des aufgeleimten Geigengriffbretts (oben) und zugehörige Eigenschwingungsformen (unten). Messung durch experimentelle Modalanalyse im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske.
Es zeigt sich, dass durch geschickte Ausarbeitung des Griffbretts eine Kopplung einer der Torsionsmoden TF des Griffbretts (#3 oder #4) mit einer Corpusmode möglich ist. Die Folge ist im spielfertigen Zustand eine spektrale Aufspaltung der Corpusmode, die im Resonanzprofil durch eine erwünschte Verbreiterung des Corpusresonanzgebietes im Grundtonbereich der a-Saite erkennbar ist. Sehr viel häufiger ist die sog. A0-B0-Kopplung. In diesem Fall (und ebenfalls bei den genannten Stradivaris) koppelt die in fig.1 dargestellte Mode #2 (Biegeeigenschwingung, hier bei 283 Hz) mit der Helmholtzresonanz A0. Die Hintergründe der A0-B0-Kopplung wurden von Woodhouse [1] sehr umfassend beschrieben.
Aufgrund unserer Werkstattpraxis beobachten wir, dass „resonanzgekoppelte“ Instrumente (A0-B0-Kopplung und möglichst auch TF-Kopplung) hinsichtlich ihrer Spielbarkeit von Musikern als äußerst attraktiv („lebendig“, „resonant“) empfunden werden. Wir teilen diesbezüglich die vergleichbaren Einschätzungen von Hutchins [2] und Woodhouse [1].
Beispiel einer gelungenen Ausarbeitung des Griffbretts, die sowohl zu einer TF-Kopplung als auch zu einer A0-B0-Kopplung führt, ist im Körperschall-Frequenzgang nachstehender Abb. 2 ersichtlich.
Abb.2: Frequenzgang der Corpusresonanzen einer Geige (grau), sowie Frequenzgang des aufgeleimten Griffbrettmoden (sw). Wie an den vertikalen gestrichelten Linien erkennbar, wurde hier eine doppelte Resonanzkopplung verwirklicht. © Martin Schleske, 2004
Der schwarze Frequenzgang ist eine Übertragungsfunktion zwischen den beiden freien Ecken des aufgeleimten Griffbretts. Dabei werden die ff-Löcher mit Schaumstoff abgedeckt, um eine Kopplung mit der A0-Mode zu vermeiden und (nur so) die tatsächliche Eigenfrequenz der Mode #2 („B0“) des Griffbrettes zu ermitteln.
Die graue Kurve ist eine Eingangsakzelleranz (a/F mit a=Beschleunigung; F=anregende Kraft) des Korpus (Messung an der Position des linken Stegfußes). Dabei wird das freie Griffbrettende festgehalten, um eine Kopplung mit B0 und TF zu vermeiden und (nur so) die tatsächlichen Eigenfrequenzen von A0-Mode und Corpusresonanzen zu ermitteln.
Das Endergebnis-Protokoll zeigt eine Eigenfrequenzübereinstimmung (senkrechte Linien) zwischen A0 und B0, sowie zwischen TF (Griffbrett-Torsion) und T1-Corpusmode. Damit ist das Subsystem Griffbrett optimal auf eine zweifache Kopplung mit dem Corpus abgestimmt und das Instrument wird spürbar an „Lebendigkeit“ und „Resonanz“ gewinnen.
Um eine entsprechende Ausarbeitung und individuelle Abstimmung des Griffbretts für das jeweilige Instrument zu erleichtern, ermittelten wir folgende empirische Werkstattformeln:
Griffbretteigenfrequenz und B0-Mode der Geige
Die tiefste Eigenschwingung des noch nicht aufgeleimten (freien) Griffbretts ist in ihrer Schwingungsform der tieffrequenten B0-Eigenschwingung der zukünftigen spielfertigen Geige sehr ähnlich: Beide Moden sind durch eine amplitudenstarke Längsbiegeschwingung des Griffbretts charakterisiert. Wie sehen diese beiden Eigenschwingungen aus?
- Bei der tiefsten Eigenschwingung des freien Griffbretts handelt es sich um eine Längsbiegeschwingung (fF#1n=2) mit zwei Knotenlinien in Querrichtung. (Diese Eigenschwingung lässt sich mühelos anhören, wenn man das Griffbrett zwischen Daumen und Zeigefinger bei etwa 1/4 seiner Gesamtlänge festhält und an einem Ende anklopft. Der tiefste Eigenton, der dann hörbar wird, ist die Eigenfrequenz der genannten Längsbiegeschwingung).
- Die Eigenschwingung der B0-Mode, ist in obiger Abb. 1 als Mode #2 dargestellt.
Da sich die Schwingungsformen beider Moden sehr ähneln, beeinflusst jede Modifikation des Griffbretts die Eigenschwingungen beider Schwingungsmoden in vergleichbarer Weise. Solche Modifikationen können etwa sein:
- eine Veränderung der Dickenverteilung,
- eine Veränderung der unteren Aushöhlung,
- eine Veränderung der Griffbrettlänge,
- die Materialqualität.
Durch diese „handwerklichen Modifikationen“ verändert der erfahrene Geigenbauer gezielt die Masse-Steifigkeits-Verteilung des Griffbretts und damit die Eigenfrequenz der zukünftigen B0-Mode auf. Die Anfertigung bzw. Veränderung eines Griffbretts ist akustisch dann gelungene, wenn beim spielfertigen Instrument die B0-Mode auf der Frequenz der A0-Mode (Helmholtzresonanz) liegt. Wenn das Griffbrett vom Geigenbauer in dieser Weise dem Instrument akustisch angepasst wurde hat das Instrument die wünschenswerte Resonanz-Kopplung und damit spürbar an „Lebendigkeit“ und „Resonanz“ gewonnen. Einerseits wird der erfahrene Geigenbauer also während der Bearbeitung des freien Griffbretts immer wieder dessen tiefsten Eigenton kontrollieren. Anderseits muss er das Erfahrungswissen haben, welches Frequenzverhältnis zwischen der tiefsten Eigenschwingung des freien Griffbretts und der zukünftigen B0-Mode besteht. Denn die B0-Mode (auf welche die ganze Abstimmung abzielt) zeigt sich erst nach dem Aufleimen des Griffbretts. Aufgrund der beschriebenen Ähnlichkeiten der Schwingungsformen besteht ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen beiden Eigenfrequenzen. Die (mühelos abhörbare) tiefste Eigenfrequenz des freien Griffbretts kann also bereits während der Herstellung und Ausarbeitung des Griffbretts ein hilfreiches Maß sein, um die B0-Eigenfrequenz des zukünftigen, spielfertigen Instrumentes abzuschätzen.
Welches Frequenzverhältnis besteht nun aber zwischen dem tiefsten Eigenton des freien Griffbretts und der B0-Eigenfrequenz? Da auch die Ausführung des Halses und die Masse von Schnecke und Wirbeln die B0-Eigenfrequenz zu einem gewissen Grad beeinflussen, ist das hier angegebene Frequenzverhältnis von Instrument zu Instrument mit einer gewissen Fehlertoleranz zu versehen. Im Fall unserer eigenen Instrumente (die stets eine relativ ähnliche Schnecke und Halsausarbeitungen haben) liegt die Eigenfrequenz der tiefsten Biegeeigenschwingung des freien Griffbretts (#1n=2) um einen Faktor 1.67...1.68 über der Eigenfrequenz der B0-Mode des spielfertigen Instrumentes. Damit ist eine erste wesentliche empirische Formel gegeben:
Darin sind:
fF#1n=2: Eigenfrequenz der ersten Biegeeigenschwingung des frei gelagerten Griffbretts (2 Knoten)
fB0: Eigenfrequenz der B0-Mode der spielfertigen Geige (Längsbiegeschwingung)
Da dieses Frequenzverhältnis etwa einer großen Sexte entspricht, sollte das freie Griffbrett also etwa in diesem Intervall oberhalb der A0-Mode abgestimmt werden, um nach dem Aufleimen eine gute A0-B0-Kopplung zu erzielen. Die Bestimmung der A0-Eigenfrequenz (z.B. durch Anblasen über die ff-Löcher) muss mit eingesetztem Stimmstock erfolgen, da dieser die A0-Eigenfrequenz erheblich nach oben verschiebt.
Anmerkungen: Je nach individueller Ausgestaltung von Hals und Schnecke kann dieses Frequenzverhältnis eine gewisse Abweichung aufweisen, denn die B0-Mode hängt auch von der Steifigkeit und Masse des Halses und der Schnecke ab.
Die Länge des Griffbretts
Eine gewisse Abstimmung von B0 und TF kann über die Griffbrettlänge erzielt werden. Nachträgliches sukzessives Kürzen des aufgeleimten Griffbretts und Messen der resultierenden B0- und TF-Eigenfrequenzen ergaben durch Curve-Fit über die erhaltenen Datenpunkte folgende Formeln.
Erhöhung der B0-Eigenfrequenz durch Kürzen des Griffbretts:
Darin sind:
ΔfB0: Erhöhung der Eigenfrequenz der B0-Mode in Prozent
ΔL: Verkürzung der Griffbrettlänge in Prozent
Das Bestimmtheitsmaß dieses empirischen Curvefit liegt bei R=0.9979
Beispiel: Verringerung der Griffbrettlänge von 270 mm auf 265 mm, was einer Verringerung von 1.85 % entspricht. Eingesetzt in Formel II ergibt sich:
Die Erhöhung der B0-Eigenfrequenz (in %) =1,85*(0.1531*1,85+1.3097)=2.95%
Wenn also die B0-Mode zuvor bei 250 Hz lag, wird sie durch die genannte Verkürzung um 5mm auf 257.4 Hz ansteigen
Erhöhung der TF-Eigenfrequenz durch Kürzen des Griffbretts:
Darin sind:
Δf TF: Erhöhung der Eigenfrequenz der TF-Mode in Prozent
ΔL: Verkürzung der Griffbrettlänge in Prozent
Auch dieser empirische Curvefit lieferte ein hohes Bestimmtheitsmaß von R=0.9972
Beispiel: Verringerung der Griffbrettlänge um 5mm bzw. um ΔL=1.85 %. Eingesetzt in Formel III ergibt sich:
Die Erhöhung der TF-Eigenfrequenz (in %)=1,6246*1,85%=3%
Wenn also die TF-Mode zuvor bei 510Hz lag, wird sie durch die genannte Verkürzung um 5mm auf 525,3Hz ansteigen.
Mit diesen Formeln ist eine hilfreiche Abschätzung für nachträgliche, relativ einfache Frequenzanpassungen des Griffbretts möglich. Der eigentliche, „frequenz-empfindliche“ Arbeitsschritt bei der Griffbrettherstellung ist aber v.a. die konkave Aushöhlung der Unterseite (Länge und Tiefe). Ein Beispiel einer gelungenen, im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske vorgenommenen, Abstimmung des Geigengriffbretts stellt das oben gezeigte Diagramm Abb.2 dar. Diese hier verwirklichte Resonanzkopplung trägt zu einem sehr „lebendigen“, „resonanten“, Spielgefühl des Instrumentes bei.
Natürlich sind neben dem Griffbrett Parameterstudien zu zahlreichen weiteren Elementen der Geige sinnvoll. Unter den „simulierenden Experimenten“, die mithilfe der Finiten-Elemente-Methode Parameteränderungen beispielsweise des Bassbalkens, der Ausarbeitung etc. untersuchten, sind v.a. die Arbeiten von Rodgers [3] zu unterstreichen.
Weiterführende Literatur:
[1] Woodhouse, J.: The Acoustics of „A0-B0 Mode Matching“ in the Violin, J. Acoust. Soc. Amer. 84 (1998) 947-956.
[2] Hutchins, C.M.: Effect of an air-body coupling on the tone and playing qualities of violins, J. Catgut Acoust. Soc. Nov 1985, pp 12-15.
[3] Rodgers, O.E.: On the function of the violin bass bar, J. Catgut Acoust. Soc. Nov 1999, pp 15-19.
[4] Rodgers, O.E.; Anderson P.: Finite Element Analysis of a Violin Corpus, J. Catgut Acoust. Soc. Nov 2001, pp 13-26.