Darstellung der harmonischen Struktur des abgestrahlten Schalls durch Berechnung der Pegel an den Frequenzstellen der Harmonischen. Vergleich von Geigen unterschiedlicher Qualität: Stradivari versus Schülerinstrument.
Eine Analyse der Schallabstrahlung ist umso sinnvoller, je besser die gewählte Darstellungsform des Resonanzprofils der tatsächlichen musikalischen Situation entspricht. Aus diesem Grund wurde im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske ein Programm entwickelt, mit dessen Hilfe sich das Resonanzprofil der Schallabstrahlung „musikalisch“ darstellen lässt. Die nachfolgenden drei Abbildungen zeigen die „musikalischen Konturdiagramme“ folgender Geigen:
- Antonio Stradivari, 1712 („Schreiber“)
- Joseph Guarneri del Gesù, 1733
- Einfache Schülergeige (ca. 1900)
Zur Abbildung: „Musikalisches Konturdiagramm“ der Schallabstrahlung einer Geige von Antonio Stradivari (1712):
Auf der Abszisse ist eine chromatische Tonleiter, auf der Ordinate die Harmonischen (Grundton und zugehörige Obertöne) dargestellt. Die Pegel aus dem Verhältnis von Schalldruck p zu anregender Kraft F sind der Farbskalierung zu entnehmen: Die stark abgestrahlten Bereiche sind durch Rottöne, die schwach abgestrahlten Bereiche durch Blautönen dargestellt. Entsprechend des Kraftspektrums welches durch den Bogenstrich des Musikers erzeugt wird, wird die Amplitude des i-ten Harmonischen durch i dividiert (sog. Sägezahnfunktion). Darin begründen sich die zu höheren Harmonischen hin abnehmenden Amplituden.
Anmerkung: Da auf der x-Achse in äquidistantem Abstand die musikalischen Töne dargestellt sind, erhält diese eine logarithmische Frequenzskalierung. Auf der y-Achse sind in äquidistantem Abstand die Harmonischen aufgetragen, diese erhält daher eine lineare Frequenzskalierung. Aus diesen beiden Skalierungen ergibt sich, dass die Linien gleicher Frequenzen im Konturdiagramm als gebogene Linien erscheinen.
Zur Abbildung: „Musikalisches Konturdiagramm“ der Schallabstrahlung einer Geige von Guarneri del Gesù (1733):
(Zum Verständnis des Diagramms siehe Abbildungstext zu letzter Abbildung).
Das „musikalische Konturdiagramm“ macht die musikalische Relevanz des physikalischen Resonanzprofils erkennbar. So taucht etwa die Resonanzspitze bei der Frequenz des Grundtons a1 (440Hz) gleichzeitig nochmals als Resonanzspitze beim zweiten Harmonischen des Grundtons a (220Hz) auf (folge der gebogenen Linie!). Denn sowohl der 2. Harmonische zum Grundton a mit 220Hz, als auch der Grundton a1 mit 440Hz fallen auf die Resonanzspitze der T1-Korpusresonanz der Instrumentes.
Ähnliches gilt auf dem „musikalischen Konturdiagramm“ der Guarneri del Gesù für die Resonanzspitzen um 2000 und 2300Hz. Sie liefern einerseits ihren starken Beitrag zur Schallabstrahlung im Bereich der sehr hohen Grundtöne h3 bis #d4, anderseits sind diese Resonanzspitzen verantwortlich für die starken Schallanteile („Berggipfel“) der 2. Harmonischen der um eine Oktave tiefer liegenden musikalischen Töne und wiederum die Schallanteile der 3. Harmonischen der um eine weitere Quinte tiefer liegenden musikalischen Töne; usw. Die grundsätzliche Bedeutung der hochfrequenten Resonanzen des Instrumentes für die höheren Harmonischen der tieffrequenten musikalischen Töne wird somit sehr anschaulich.
Beim Anhören einer chromatischen Tonleiter findet die Abbildung eine deutliche Entsprechung zum Höreindruck. So wird etwa der Helmholtzbereich der G-Saite um c1 als deutlich sonorer empfunden als etwa die leere g-Saite. Auch der schwach resonante Bereich um f1 ist deutlich hörbar und in der Abbildung durch den grünen Einbruch erkennbar.
Zur Abbildung: „Musikalisches Konturdiagramm“ der Schallabstrahlung einer durchschnittlichen Schülergeige (ca. 1900).
Im Vergleich zum „musikalischen“ Konturdiagramm der Schallabstrahlung der ‚Guarneri del Gesù‘ zeigen sich auffallende musikalische Qualitätsmängel des Schülerinstrumentes:
- der Helmholtzresonanzbereich, der für die sonore Farbe der g-Saite verantwortlich ist, erscheint deutlich geringer ausgeprägt
- der Bereich der 1. Lage der d-Saite ist von einem starken, großflächigen Einbruch um f1 gekennzeichnet. Aufgrund der Resonanzschwäche, sowohl im Grundton als auch im Obertonbereich dieser Region, klingt die d-Saite relativ kraft- und farblos.
- der Obertonbereich ist stark zerklüftet. Dies fördert die Unausgeglichenheit des Instrumentes
- auf den Nasalbereich fallen starke Gipfel der Schallabstrahlung. Dies hat eine tendenziell nasal dominierte, enge Klangfarbe zur Folge („näseln“).
Das „musikalische Konturdiagramm der Schallabstrahlung“ repräsentiert somit die harmonische Struktur des abgestrahlten Schalls, d.h. es stellt dar, welche Pegel die Grundtöne und zugehörigen Obertöne sämtlicher musikalischen Töne aufweisen. Diese harmonische Struktur ist – wie oben gezeigt – als Landkarte darzustellen. Eine alternative Darstellungsform besteht darin, durch Querschnitte durch das „musikalische Konturdiagramm“ jeden Harmonischen (Grundton und Obertöne) als eigenes Gebirgsprofil darzustellen. Entsprechend des Kraftspektrums welches durch den Bogenstreichvorgang des Musikers erzeugt wird, wird auch hier die Amplitude des i-ten Harmonischen durch i dividiert. Nachfolgend sind diese „harmonischen Querschnitte“ der Schallabstrahlung zweier Geigen (oben Antonio Stradivari 1712; unten Schülergeige ca. 1900) dargestellt.
Zur Abbildung: „Harmonische Querschnitte“ der Schallabstrahlung. Grundton (grau) und Obertöne (2.- bis 10. Harmonischer rot bis violett) sind als einzelne „Gebirgsprofile“ dargestellt. Auf der x-Achse ist auch hier der jeweilige musikalische Ton aufgetragen, auf der y-Achse der zugehörige Pegel aus dem Verhältnis von Schalldruck zu anregender Kraft. Oben: Antonio Stradivari 1712, unten Studentengeige ca. 1900.
Für eine zuverlässige Interpretation dieser Querschnitte bedarf es noch weiterer Arbeiten und einer Vielzahl weiterer Analysen. Von Interesse sind diese Muster vor allem durch auffällige Gemeinsamkeiten von Instrumenten, die als gut klingend eingestufter werden, im Vergleich zu weniger reizvoll oder hässlich klingenden Instrumenten. So zeigt sich etwa bei der Stradivari ein gleichmäßig abnehmendes, deutlich wahrnehmbares „Igelmuster“ der harmonischen Struktur, während bei dem durchschnittlichen Schülerinstrument solch ein durchgängiges Muster nicht erkennbar ist. Ferner treten die Pegel der Harmonischen der Stradivari fast überall in einer klaren, abnehmenden Ordnung auf, während bei dem durchschnittlichen Instrument sehr häufig Harmonische einer hohen Ordnungszahl diejenigen einer geringeren Ordnungszahl in ihren Pegeln übertreffen. (Beachte hier besonders den Bereich der d-Saite mit dem starken Einbruch von 1. und 2. Harmonischen und einer einseitig herausragenden, dominierenden Spitze des 3. Harmonischen. Das Fehlen der tiefzahligen Harmonischen hat hier einen „dünnen“, „rauen“; „substanzlosen“ Klang zur Folge. Es fehlt das Volumen und die Wärme im Ton.
Erfahrungen zeigen, dass bei häufigem Anhören von Instrumenten, deren Schallabstrahlung gleichzeitig in der „musikalischen Darstellungsform“ gemessen wurde und vorliegt, ein intuitiver Umgang mit diesen farbigen Landkarten entsteht. Es kann auf diese Weise gelernt werden, die harmonische Struktur des Instrumentes zu hören. Dies ist insbesondere der Fall, wenn AB-Vergleichsaufnahmen zweier verschiedener Geigen abgehört werden und beide farbige Landkarten der Schallabstrahlung vorliegen.