Spielbarkeit

Für die Spielbarkeit der Geige sind bestimmte Charakteristika der Eigenschwingungen des Instrumentes maßgeblich. Die Eigenschwingungen bilden als objektive Instrumenteneigenschaften die akustische Funktion der Geige.

Nicht nur die Schallabstrahlung, sondern auch spieltechnische Eigenschaften des Instrumentes, wie Ansprache und empfundener „Widerstand“, haben ihre wesentliche Ursache in den Moden (Eigenschwingungen) des Instrumentes. Die Klangerzeugung durchläuft eine höchst komplexe Übertragungskette aus Wirkungen und Rückwirkungen: Der Spieler erregt die Saite zu Saitenschwingungen, es entsteht eine dem gestrichenen Grundton zugehörige harmonische Obertonreihe. Das heißt: An ganz bestimmten Frequenzen (nämlich den sog. „Harmonischen“) gerät die Saite in starke Schwingungen. Diese Schwingungen üben ihrerseits eine Kraft auf den Steg des Instrumentes aus. Die Geige wird periodisch über den Steg in den erzeugten Frequenzen angeregt, wobei der Steg in Querrichtung auf der Geigendecke hin- und her „tänzelt“.

Wenn nun die Frequenzen dieser anregenden Saitenkräfte im Korpus des Instrumentes „auf Resonanz stoßen“, so hat dies eine starke Wirkung. Der Korpus beginnt in diesen Resonanzen zu schwingen. Die Resonanzen sind diejenigen Frequenzbereiche, an denen der Korpus die größte „natürliche Schwingungsbeweglichkeit“ hat. Hier führt eine geringer Anregungskraft zu den größten Schwingungsantworten von Decke und Boden. Diese Schwingungsantworten sind einerseits höchst willkommen, denn sie sind – je nach Ausprägung – sehr effektive „Schallabstrahler“. Anderseits wirkt die starke Schwingungsantwort der Decke zurück auf den Steg und damit auch zurück auf die bereits schwingende Saite. Die Saitenschwingung wird durch diese Rückwirkung in einem bestimmten Grad „gestört“. Diese Störungen werden vom Musiker als „Anspracheverhalten“ wahrgenommen. Musiker äußern sich in diesem Zusammenhang etwa darüber, wie leicht oder schwer sie „in den Ton rein kommen“, oder wie stark oder schwach die Saite „belastbar“ ist.
Bei einigen Tönen kann diese „Störung“ so groß sein, dass der Musiker nicht mehr im Stande ist, die Saitenschwingung zu beherrschen. Dies ist bei sog. Wolfstönen der Fall. Hier „schaukelt“ sich der Korpus durch die extrem große dynamische Beweglichkeit einer seiner Hauptresonanzen (Hauptkorpusmoden) so sehr auf, dass seine Rückwirkung über den Steg auf die Saite die „geordnete“ Saitenschwingung zusammenbrechen lässt. Sofort wird die Schwingung durch den weiter streichenden Bogen wieder aufgebaut, um bei genügend großem „Aufschaukeln“ des Korpus wieder zusammenzubrechen. Dieses schnelle Wechselspiel ist als das typische Wolfton-Jaulen vielen Streichern leidvoll bekannt. Die Ursache des Wolfstons liegt also in der speziellen Ausprägung einer Mode des Instrumentes – und ist damit für die Modalanalyse ein „gefundenes Fressen“.

Die Akustik einer Geige wird durch ihre Schwingungsmoden charakterisiert, also durch individuelle Bereiche starker dynamischer Beweglichkeit. Jede Mode ist gekennzeichnet durch Eigenfrequenz, Eigenschwingungsform und Dämpfung. Da die klanglichen und spieltechnischen Unterschiede, Gemeinsamkeiten oder Eigenarten von Geigen auf eben diese unterschiedlichen Moden zurückzuführen sind, ist für den Geigenbau kaum ein effektiveres akustisches Werkzeug denkbar als die Modalanalyse.