Der „musikalische“ Geigenlack
Der Neubau einer Geige, einer Bratsche oder eines Violoncellos findet in der Lackierung seine Vollendung. Wie die Gebrüder Hill in ihrem Stradivari-Buch [Hill, W.Henry et.al: „Antonio Stradivari – His Life and Work (1644- 1737), New York 1963] richtig feststellen, kann der Geigenlack niemals eine fehlerhafte Bauweise des Instrumentes kompensieren. Dass die Lackierung den Klang aber im günstigen Fall veredeln und im ungünstigen Fall völlig ruinieren kann, steht unseres Erachtens außer Zweifel. Die einschlägige Literatur zum Thema Geigenlack lässt den Leser zumeist im Unklaren über die anzustrebenden akustischen Eigenschaften des Geigenlackes. Daher soll der folgende Beitrag einige Aspekte der akustischen Wirkung der Geigenlackierung verdeutlichen.
Akustische Ziele
Unseres Erachtens ist der erwünschte akustische Einfluss einer guten Geigenlackierung auf das Holz definiert durch
a) eine geringe Dämpfung (im Idealfall eine Verringerung gegenüber dem unbehandelten Holz). Eine Verringerung der Dämpfung wirkt sich spektral auf eine Verringerung der Resonanzgipfelbreiten und eine Vergrößerung der Resonanzgipfelhöhen aus. In musikalischer Hinsicht erhöht dies die Dynamik des Instrumentes.
b) eine möglichst große Zunahme des Verhältnisses von Schallgeschwindigkeit zu Dichte. Dies hat eine Erhöhung der musikalischen Modulierbarkeit des Instrumentes zur Folge (zur Begründung dieser These: „Vibrato“)
Abb.: Lackschrank mit Einzelsubstanzen und Messung lackierter Probestreifen im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske
Die Zunahme des Verhältnisses von Schallgeschwindigkeit zu Dichte, kommt einer akustischen Vergütung des Materials gleich. Es kann dadurch unter Beibehaltung der (klangfarbenbestimmenden) Eigenfrequenzen potentiell mit geringeren Plattenstärken und damit geringeren Massenbelagen gearbeitet werden. Dadurch erhöht sich der akustische Wirkungsgrad des Instrumentes und damit dessen dynamische Reserven.
Werdegang der Lackierung
Da sowohl Eigenfrequenzen als auch Resonanzdämpfung mit der Behandlung des Holzes (Grundierung und Lack) teilweise erheblich verändert werden, ist es sinnvoll, die entsprechenden Einflüsse der eigenen Lackierung zu kennen. Der Aufbau der Lackierung (Grundierung; Porenfüller, Lackanstriche etc.) besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Behandlungsschritte und –schichten. Daher ist nicht nur das Endergebnis, sondern ebenso die „Akustik der Zwischenschritte“ der Lackierung von Interesse. Denn es besteht die Gefahr, dass einzelne Zwischenschritte einen durchaus unerwünschten akustischen Einfluss zur Folge haben, der möglicherweise zwar zu einem gewissen Anteil von nachfolgenden Schritten kompensiert wird, das Gesamtergebnis aber durchaus verdirbt. Die Präsenz etwaiger ungünstiger Zwischenschritte kann nicht durch einen bloßen Vergleich zwischen Endergebnis und unbehandeltem Holz festgestellt werden, sondern bedarf einer Analyse der einzelnen Bearbeitungsschritte im schichtweisen Aufbau der Lackierung.
Da jeder Zwischenschritt eine gewisse Trocknungszeit beansprucht und damit alle akustischen Effekt ggf. zeitliche Veränderungen erfahren, wird der akustische Werdegang des Lackes sinnvoller Weise auf einer Serie von Holz-Probestreifen untersucht. Dabei muss die Anzahl der Streifen (abgesehen vom unbehandelten Referenzstreifen) gleich der Anzahl von Zwischenschritten sein. Der erste Streifen erhält nur die erste Behandlung, der zweite die erste und zweite Behandlung... und der letzte Streifen alle Behandlungen.
Den Streifen wird eine ausreichende Trocknungsdauer zugebilligt, dann werden mithilfe der Resonanzmethode [Messung der Resonanzeigenschaften der ersten Biegeeigenschwingung der frei-frei gelagerten Streifen] die durch die Behandlungen hervorgerufenen Veränderungen von Schallgeschwindigkeit c, Dichte δ und Resonanzdämpfung Q sämtlicher Streifen gegenüber dem unbehandelten, ursprünglichen Zustand bestimmt.
Ferner wird für jeden Streifen die behandlungbedingte Veränderung der „Materialqualität“ Mq=c/δ berechnet. Diese Veränderungen gegenüber dem unbehandelten Holz können als Funktion der Behandlungsschritte aufgezeichnet werden, wie im folgenden Diagramm geschehen.
Beispiel: Ein entsprechendes Behandlungs-Diagramm der Lackierung ist in nachfolgender Abbildung dargestellt (Probestreifen: Fichte; Dicke 3.0mm; Faserverlauf quer zu Längsrichtung).
Abb.: Darstellung des akustischen Werdegangs der Lackierung einer Geige
Beachte: Die dargestellten Werte sind sämtlich „klimakompensiert“: Da ein möglicher klimabedingter Einfluss auf die behandelten Streifen auch auf die unbehandelten Kontrollstreifen wirkt, werden sämtliche Messergebnisse durch diese „unbehandelten“ Kontrollwerte dividiert. Damit wird die Wirkung von Luftfeuchtigkeits- oder Temperaturschwankungen kompensiert.
Das Diagramm lässt einen nur eingeschränkt positiven Einfluss des hier exemplarisch dargestellten Lackierungskonzeptes deutlich werden: Die ersten beiden Behandlungsschritte (ground) führen aufgrund des hohen Anstieges der Schallgeschwindigkeit (+7.4%) gegenüber dem gleichzeitigen Anstieg der Dichte (+2.7%) zu einer erheblichen Erhöhung der akustischen Materialqualität (+4.6%). Der anschließende Behandlungsschritt 4 (Auftrag einer Schicht Rosinöl) führt jedoch zu einer überproportional starken Erhöhung der Dichte, was ein Absinken der Materialqualität zur Folge hat. Hierbei wird bereits etliches des zuvor positiv wirkenden Grundierungseffektes (Schritte #2 und #3) „verschenkt“.
Ähnliches ist für die nachfolgenden fetten Öllackanstriche zu verzeichnen. Zum Schluss (Schritt #6) zeigt sich eine dem ursprünglichen Holz vergleichbare Materialqualität, aufgrund der nahezu identischen Erhöhung der Schallgeschwindigkeit (+11.8%) und Dichte (+11.4%). Günstiger wäre, wenn der Anfangstrend (nämlich dass der Zuwachs der Schallgeschwindigkeit den Zuwachs der Dichte übertrifft) hätte beibehalten werden können. Dies würde es gestatten, die weiße Geige mit etwas geringeren Plattenstärken auszustatten und damit den Massenbelag zu verringern um so den akustischen Wirkungsgrad zu erhöhen. Die durch die Korrektur der Plattenausarbeitung nach unten verschobenen Eigenfrequenzen (deren Werte maßgeblich für die Klangfarbe des Instrumentes sind) werden dann durch die nachfolgende Lackierung kompensiert.
In der Praxis
Im Falle unseres eigenen Lackierungskonzepts beobachten wir regelmäßig (über den gesamten Frequenzbereich weitgehend konstant) einen Eigenfrequenzanstieg von einigen Prozent gegenüber dem unlackierten Instrument.
Im Gegensatz zum problematischen Abbildungsbeispiel konnten wir Lackierungen erproben, die stark dämpfungsmindernd gegenüber dem unbehandelten Holz wirken.
Weiterführende Literatur:
- Martin Schleske: „Der Einfluss typischer Geigenlacke auf die Resonanzeigenschaften der Geige“. Zeitschrift Das Musikinstrument, 39. Jahrg., Heft 2-3 / Febr.-März 1990, S. 129-135.
- Martin Schleske: „On the Acoustical Properties of Violin Varnish“. CAS Journal Vol.3, No.6, (Series II), November 1998.